Strassenkötergene - Eine Rezension und mehr als das - Spoilergefahr!

Strassenkötergene von Julia Seuschek ist ein Buch auf welches ich mehr oder weniger über die lieben Zeilenspringer aufmerksam geworden bin.

Eine unserer Zeilis hatte eine mitreißende Kurzrezension gepostet, welche mich beeindruckt hat. Da dachte ich okay, schaust du dir mal an. Leseprobe angefangen, war überzeugt und hab's auf die Wunschliste gepackt. Bei einem Tauschpaket über die Gruppe hat mir meine Tauschpartnerin dieses Buch von meiner Liste mitgeschickt.

Ich muss sagen, dass ich zunächst etwas verwundert war, dass das Buch so wenige Seiten hat. Ist ja eher untypisch für eine Dystopie. Aber okay, ich habe davor auch nicht sonderlich darauf geachtet.

Klappentext:

Lou mutiert mit dreizehn Jahren völlig unerwartet zu einem reinblütigen A-Menschen. Als ihr Vater, wie der Rest ihrer Familie, ein einfacher B-Mensch von der Königsfamilie ermordet wird, schwört Lou Rache. Verkleidet als Junge tritt sie in den Dienst ihrer royalen Gegner.
Ausgerechnet Königssohn Jared stiehlt sich in das Herz der Rebellentochter und Lous Welt steht Kopf. Gibt sie Jared auf, um das System zu stürzen oder verrät sie ihre Herkunft für die Liebe ihres Lebens?

Achtung! An dieser Stelle möchte ich noch einmal eindringlich darauf hinweisen, das die folgende Renzension Spoiler enthält! Wer sich das Buch nicht versauen möchte, liest besser nicht mehr weiter!

Anders als gewöhnlich muss ich meine gewohnte umfassendere Storyzusammenfassung und meine Meinung gleichermaßen in einen Topf werfen. Denn dieses Buch ist auf eine so wunderbare und erschreckende Weise das eines der furchtbarsten Bücher die ich je gelesen haben. Und trotzdem mag ich es. Das ist völlig unlogisch, aber lasst uns über Lou ,Jared und die ganze Geschichte sprechen.


Der Prolog beginnt  dunkel und lässt nach wenigen Zeilen eine unbehagliche Stimmung aufkommen. Und es ist auch nicht irgendein Prolog, denn er hat eine Bedeutung auf die ich später noch einmal zu sprechen komme.

Sogleich danach wird der Leser mitten ins Geschehen geworfen. Man erlebt die Geschichte zum Großteil aus Lous Sicht und auch Jared kommt nicht zu kurz . Aber auch ein paar andere Figuren kommen zu Wort. Doch der Reihe nach.
Wir erfahren nach und nach, dass wir uns in einer Welt befinden, welche sich hunderte Jahre nach einem atomaren Fallout nur mühsam erholt hat. Die Menschheit wurde in 3 Gruppen gespalten. Noch nicht mutierte Kinder,  Menschen von Tpy A und B.
Die A Menschen sind die besseren Menschen denen es hervorragend geht, die in der Regel ein tolles Leben führen und von B Menschen bedient werden. B Menschen leben am Existenzlimit. Beide Typen sind Seiten der selben Medaille. Sogleich ist die Atmosphäre geschwängert von Wahrheit, Lüge und Rebellion.
Lou steckt mittendrin, muss für sich selbst sorgen und ist eine starke Persönlichkeit, die sich auf der Straße zu behaupten weiß. Ihr herzzerreißend gelungener schwarzer Sarkasmus macht sie zunächst authentisch. Sie ist abgestumpft, tough und gütig. Sie hat sich einen Plan gefasst. Sie will die Regierung und damit das Königshaus stürzen. Dazu muss die Öffentlichkeit erfahren, dass alle angeblichen Beweise, welche A Menschen zu besseren Menschen macht erstunken und erlogen sind.

(Info am Rande, der Plot macht zum Anfang deutlich, das Lou eigentlich vor hat das Königshaus (den König?) zu töten, kaum im Schloss wird das Ganze aber zu einer nicht stattfindenden Hinweis Suche.. Außerdem soll das Könighaus für den Tod ihrer Eltern verantwortlich sein. Das hat im späteren Verlauf kaum noch Relevanz.) 

Sie will sich an denen rächen, die ihr ein Leben verweigern, die ihr alles genommen haben. Und sie will ihnen alles nehmen und wenn es das Leben selbst ist.
Lous Aufnahme in die schloss-eigene Dienerschaft, hat sie einem nicht ganz unglücklichen Zufall zu verdanken. Ganz davon abgesehen, das sie sich als Junge verkleidet hat und auch für einen solchen gehalten wird. Kurz nach ihrer Ankunft lernt sie Jared kennen, den Königssohn. Ein arroganter eingebildeter Schnösel.
Ich denke es ist eigentlich überflüssig zu erwähnen, dass sich die beiden schnell näher kommen. Jared ist hin und her gerissen weil er ja eigentlich nicht schwul ist und Lou weil sie einen Plan auszuführen hat und sich nicht als Mädchen offenbaren kann.
Hier muss ich einen Cut machen. 
Denn bis zu dieser Stelle hat mir das Buch wirklich gut gefallen. Die Geschichte besaß das Potenzial episch zu werden.
Doch der Plot macht eine unangenehme Entwicklung durch. Je mehr Zeit Lou im Schloss verbringt, desto stärker rückt ihre "Rache" in den Hintergrund. Die Liebesbeziehung, wenn man diese als solche bezeichnen kann nimmt unangenehm viel Raum ein. Nach 66 Seiten gab es ein stark verwundertes "HÄ?" von meiner Person. Denn Jareds Mutter hat mitbekommen das ihr Sohn homosexuelle Tendenzen zu entwickeln scheint, was zu Hofe natürlich unterbunden werden muss als wäre es eine schlimme Krankheit. Sie und der König kommen auf die glorreiche Idee, Lou in Jareds privaten Unterricht zu stecken, weil man sich einbildet so mehr Kontrolle über die Aktivitäten der beiden zu haben. Was wirklich wahnsinnig schwachsinnig ist. Da die zwei nun noch mehr Zeit miteinander verbringen.
Jared bemerkt, dass mit Lou irgend etwas nicht stimmt, kann es jedoch nicht benennen und auch Lou spürt das Jared etwas vor ihr verbirgt.
So weit so gut. Bis zu diesem Punkt gibt es bereits etliche Logikfehler, die von Kapitel zu Kapitel größer werden. Ab Seite 143 habe ich angefangen Augen-rollend einige Abschnitte zu überspringen, da sich die eigentliche Geschichte nicht mehr entwickelt. Es ist ein ständiges hin und her zwischen Lou und Jared. In den nächsten 40 -50 Seiten steckt der Leser in einer herzzerreißend übertriebenen Darstellung der Liebesbeziehung unserer Charaktere.  Lou verliert ihren starken Charakter und mutiert zum weinerlichen Kleinod, während Jared zum weich gespülten Romeo wird, der immer nur vor gibt stark sein zu wollen.
Dazwischen ist ein kleiner toter Junge, eine sexuelle Belästigung und eine Hochzeit. Und die ganze Zeit brodelt die Frage, ja was ist denn nun mit der Rebellion? Was ist denn nun mit der Rache? Was ist mit den Geheimnissen die Lou und Jared voreinander verbergen?
Von der Rebellion bekommt man nur am Rande etwas mit, denn urplötzlich taucht ein Adler (Falke?) auf, welcher als Brieftaube zwischen Adam (Lous Bruder, welcher am Anfang nur eine sporadischen Auftritt hat) und Lou fungiert. In kleinen Nachrichten diskutieren die Geschwister über die drohende Rebellion.
Nachdem die Hochzeit endlich abgesagt ist, deren Planung sich noch einige Seiten hinzieht, kommt endlich Fahrt auf . Die Rebellen greifen das Dorf(?) und das Schloss an. Beide Hauptcharaktere sind bereit für einander das Leben zu geben und ich fasse mir mehrfach an die Stirn, weil ich der Autorin kein Wort mehr glaube.
Mir blutet das Herz dabei "zuzusehen" wie die Dystopie nun vollends einem Romeo und Julia Sachmachtfezen weicht, das ohne Happy End oder überhaupt ohne Ende ausgeht. Verzeiht mir die Worte aber WTF??? Das Maß ist echt voll denn bis zum Ende des Buches hat man sich schon zu viel gefallen lassen.

Ich habe zu Beginn erwähnt das der Prolog wichtig ist, denn mit diesem endet das Buch mehr oder weniger. Für mich hat sich der Prolog so gelesen, dass die Autorin drauf hin arbeitet und das hat sie auch. Aber das dieser "DAS ENDE" sein soll macht mich fassungslos. Er macht den Eindruck das es da noch weiter geht, weiter gehen sollte...
Was es nicht tut und das verletzt mein Leserherz zu tiefst. Und mein Autorenherz noch viel mehr. Denn ich denke als Autor oder Autorin, hat man den Lesern gegenüber eine gewisse Verantwortung und die scheint mir mit Füßen getreten, da man als Leser nun einfach im Regen stehen gelassen wird. NICHTS aber auch gar nichts wird geklärt.

• Wie ist es eigentlich zu dieser Form der Regierung gekommen?
• Wenn die Menschheit nur mit 500 Personen überlebt hat und aus diesen 500 Menschen die neue Bevölkerung hervor gegangen ist, dann sind nach ein paar hundert Jahren doch alle miteinander verwandt, warum dann A und B Menschen?Der Genpool ist dann doch relativ klein.
• Wenn wir uns in der Zukunft befinden, warum gibt es ständig Vergleiche mit alltäglichen Dingen? Nutella? Tom Sawyer und Hucklebrry Finn? Playlists? Tom und Jerry? Area51?
• Und wenn schon von diesen Dingen gesprochen wird, wie haben diese die atomare Katastrophe überlebt die schon Jahrhunderte her ist?
• Reichen ein paar Jahrhunderte überhaupt, wenn fast die gesamte Menschheit ausradiert wurde, um die globale atomare Strahlung verschwinden zu lassen?
• Um ein Junge zu werden musste Lou sich die Haare färben und muss Monate lang nie nachfärben? 
• Was für Kontaktlinsen trägt sie da eigentlich und muss diese nie richtig reinigen?(Bindehautentzündung lässt grüßen).
• Bei einer medizinischen Untersuchung fällt nicht auf das Lou ein Mädchen ist?
• Warum ist es so wichtig, dass Lous Vater noch lebt wenn man doch nichts weiter von ihm erfährt?
• Welche Rolle spielt Lous Peiniger wenn er nicht bekommt was er verdient, wenn er nicht nur für den Plot existiert um Lous Charakter künstlich zu vertiefen?
• Warum wird Jared wie ein normaler Junge behandelt und nicht wie ein Prinz?
• Warum juckt es eigentlich niemandem, das die mühsam vorbereitete Hochzeit einfach ins Wasser fällt? Vor allem den König?
• Wer heiratet überhaupt bei einer drohenden Rebellion und dem damit einhergehenden Krieg? 
• Was sollen die Perspektiven von der Königin und dem König, wenn sie vom Ende aus gesehen gar keine Relevanz haben?
•  Was passiert nun mit Lou, die bis zum Ende ihre Geschichte erzählt hat? Ja, sie hat Blut unter den Nägeln; ja, es ist nicht ihres und sie steht vor Scheinwerfern. WAS will mir die Autorin damit sagen? Sie haben Lou gefangen und töten sie einfach im Anschluss? Wurde das Regime gestürzt?
• Wie geht es den Menschen ohne Regierung?
• Was ist mit Jareds Schwester ist sie sicher dort wo sie dann ist?
• Wie kann man den König weiter machen lassen, wo er doch auch so ein Schwein ist ?
• Wie kann die Königin das ertragen?
• Warum wird das Geheimnis der Königin und Jared durch sie überhaupt Preis gegeben, wenn es keine Rolle mehr spielt und Jared es nie erfährt? Nur damit der Leser es weiß?
• Welche Rolle spielt Lous Bruder in der Rebellion? 
• Wie genau sieht die Rebellion überhaupt aus, außer das Schloss zu bombardieren? Wie groß ist die Weltbevölkerung aktuell überhaupt?  
• Warum hat man das Schloss nicht eher angegriffen? 
• Was ist bei der ersten Rebellion genau passiert? 
• Und was hatte Lous Vater damit zu tun?

Mit den Fragen könnte ich noch eine Weile weiter machen, es gibt noch einige mehr. Aber ich denke man erkennt, dass man mit all den Fragen einfach allein gelassen wird. Und das nicht weil ein zweiter Band noch nicht erschienen ist. Nein, weil von Seiten der Autorin nur theoretisch ein weiterer Band möglich ist.
Sie kann es sich lediglich vorstellen.... ganz toll. Nirgends gibt es Informationen, die das Buch abrunden. Und es sieht auch nicht danach aus, das sich das bald ändert.

Wie schon erwähnt, sowohl mein Leser- als auch mein Autorenherz sind verletzt und vor allem maßlos enttäuscht wie man sich so aus der Affäre ziehen kann.
Ich hoffe für die Autorin inständig, dass sie durch Rezensionen wach gerüttelt wird.
Noch viel schlimmer ist, das wirklich ein ernstes Thema gewählt wurde nämlich Rassentrennung. Ich meine, haben die Menschen nicht aus dem Zweiten Weltkrieg gelernt?

 Wie kann ich ein solches Thema so unvollständig stehen lassen? Unfassbar.

Jetzt kommt nach all dem Gemecker das ABER. Der erfrischende Stil der Autorin hat mir wirklich gut gefallen. Auch wenn die ständigen Metaphern irgendwann wirklich zu viel des Guten waren. Weniger ist mehr.
Ich muss das Buch in zweierlei Maßstäben beurteilen, einmal in 2 Bookhearts, die kann man vergeben für die zu Anfang tollen Charaktere und für die gute Idee.
Und 4 Sterne für all jene, denen es nichts ausmacht mit offenen Fragen zurück gelassen zu werden. Denen dieses offene, wenig sagende Ende nichts ausmacht.

♦ Autor:  Julia Seuschek
 
♦ Verlag:  Drachenmond

♦ Empfohlen ab 13 Jahre

Taschenbuch: 12,90€
Kindle Edition: 3,99€ 

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